Fachtagung - Industrie 4.0 für Berufsbildungsexperten
Einig sind sich die Experten darüber, dass die Digitalisierung insbesondere die Industrie und damit auch ihre Berufsbilder und die Berufsausbildung grundsätzlich verändern wird. Welche konkreten Auswirkungen der digitale Wandel auf die Arbeitswelt, auf Arbeitsprozesse und -bedingungen in Deutschland haben wird, lässt sich bisher an wenigen einheimischen Beispielen und einigen größeren ausländischen, auch Fehlentwicklungen, untersuchen und damit immerhin schon gut vorausdenken. Das zu tun, kamen am 24. Mai 2016 mehr als 60 Wissenschaftler, Bildungsforscher, Wirtschaftsexperten, Berufspädagogen und Ausbilder aus Unternehmen, aus Hochschulen, Institutionen, Kammern und Verbänden ins Berliner Haus der Wirtschaft. Sie trafen sich hier zur ersten gemeinsamen Fachtagung - Industrie 4.0, die von MTS (Mathematisch Technische Software-Entwicklung GmbH), UVB (Vereinigung der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg und bbw (Bildungswerk der Wirtschaft in Berlin und Brandenburg) mit Unterstützung der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) und des BIBB (Bundesinstitut für Berufsbildung) durchgeführt wurde.
Prof. Dr.-Ing. Gebhard Hafer, Rektor der bbw Hochschule moderierte als Gastgeber die Tagung.
Dr. Hans-Joachim Pfeifer Geschäftsführer der MTS sprach in seinem Impulsvortrag über den Workflow der Zerspanung in Industrie 4.0-Prozessen und die steigenden Anforderungen an Fachkräfte und künftige Auszubildende in den Metallberufen. Er appellierte mit Blick auf die in volkswirtschaftlichem Sinne kritische Entwicklung in den USA, wo zu viel Produktion ins Ausland zog und dadurch die amerikanische Aus- und Weiterbildung in den Metallberufen stark heruntergefahren wurde, an die hiesige Wirtschaft: "Wir müssen die Produktion (in Deutschland) erhalten, denn Produktion schafft Werte, sie muss hier bleiben." So könnten auch das Qualifikationsniveau der Fachkräfte und die Ausbildungskapazitäten erhalten und sogar gesteigert werden. Er betonte, dass für die neuen, weitaus komplexeren Anforderungen an die Fachkräfte von der Produktionsplanung und -ausführung bis zum Controlling, neue Standards für die Berufsausbildung nötig seien. Insbesondere die logistischen Anforderungen an die Produktion in Industrie 4.0-Unternehmen seien in den aktuellen Ausbildungsplänen der Metall-Elektroberufe "noch viel zu wenig berücksichtigt". Hier gelte es vorhandene Ausbildungsstandards weiterzuentwickeln.
Dr. Gert Zinke, Projektleiter für Berufsbildung 4.0 beim BIBB knüpfte in seinem Vortrag über Handlungsfelder der Berufsausbildung dort an. Er sagte mit Bezug auf die Berufsausbildung in den relevanten Industrieberufen: "Wir können uns nicht darauf ausruhen, dass wir hier früher mal gut waren. Inzwischen stehen wir vor einer anderen technologischen Situation" mit völlig neuen Tätigkeitsbereichen; Kompetenzanforderungen und dementsprechend auch Handlungsfeldern für Ausbilder und Trainer. Allerdings, schränkte er ein: "die Zerspanung 2.0 und 3.0 werden wir noch eine Weile haben, in vielen Produktionsfeldern kommt die 4.0 erst langsam hinzu". Für ihn gebe es in der Industrie trotz des großen Innovationsdrucks schon ein gewisses "Sättigungsgefühl", denn "viele Bereiche kann man gar nicht weiter rationalisieren und optimieren". Dennoch gebe es insgesamt betrachtet, sichtbare und absehbare Wirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt wie veränderte Berufs-Handlungsfelder, veränderte Formen der Arbeitsorganisation, eine Reduzierung des quantitativen Fachkräftebedarfs, neue Kernqualifikationen, Berufsprofilverschiebungen und ganz neue Berufsprofile. Zu berücksichtigen seien durch die Digitalisierung auch veränderte Lehr- und Lernprozesse. Schließlich sehe er auch einen nach wie vor großen Wettbewerb der Aufstiegsqualifizierung mit dem Hochschulsystem, bei dem das Ansehen der Meisterqualifikation weiter "an Stellenwert und Wertschätzung" gegenüber dem Bachelor verliere und die gesamte bisherige berufliche Qualifizierung konzeptionell in Frage stelle.
Sven Weickert, Geschäftsführer der UVB stellte das Digital Labor "Wirtschaft 4.0" als eins der Projekte in der Hauptstadtregion vor, die langfristig Strukturen zum Erfahrungsaustausch zwischen den großen, erfahrenen Unternehmen und den vielen kleinen, z.B. technologiebasierten Start-ups, bieten. Er gehe davon aus, dass Digitalisierung eine Entwicklung beschleunigt, "die schon im Gange ist". Sie sei nicht nur "ein technologisches Thema, sondern auch ein psychologisches bzw. ein arbeitspsychologisches Thema", das nicht zu unterschätzen sei. Er sieht in der digitalen Bildung und in der Kompetenz von Schülern und Lehrern noch Nachholbedarf und appellierte an die Akteure der Berufsausbildung, beim Nachdenken über Veränderungsprozesse in der Ausbildung auch nicht zu vernachlässigen, "dass sich in Anbetracht der technologischen Veränderungen in der Wirtschaft" nicht nur einzelne Handlungsfelder, sondern "das gesamte Berufsschulsystem verändern muss" und zu überlegen, "wie man alle mitnimmt, die mit dem Berufsbildungssystem zu tun haben". Darüber hinaus sei es wichtig nicht nur bezogen für die Hauptstadt sondern die ganze Region zu denken. Es gebe in Berlin und Brandenburg schon viele einzelne Projekte zur digitalen Arbeitswelt und interessante digitale Geschäftsmodelle, Initiativen zur digitalen Bildung, diese gelte es zu bündeln. Das UVB-Digitallabor sei eine geeignete virtuelle Kommunikationsplattform, die Experten zusammenbringt - um regelmäßig Infos zu kanalisieren, positive Beispiele zu sammeln und Erfahrungen auszutauschen (www.uvb-digitallabor.de).
Darüber, wie Industrie 4.0-Projekte und ganze Produktionslinien praktisch funktionieren berichtete
Thomas Schröder von Siemens. Er skizzierte die Produktionsprozesse in der Automobilproduktion von der Vision bis zur Realität.
Ausbildungsleiter von Liebherr Rostock, Manfred Wanitschke, zeigte an typischen Tätigkeitsprofilen aus der Praxis in seinem Unternehmen, wie sich die täglichen Herausforderungen seiner Mitarbeiter entwickelt hätten. Er sagte: "Ab 2017 wird bei uns kein Industriemechaniker mehr eingestellt, nur noch Mechatroniker. Denn wir brauchen Mitarbeiter, die mit dem deutlich erhöhten Anteil von Elektrokomponenten umgehen können". In seinem Unternehmen sei der heutige und der künftige Mechatroniker schon die "eierlegende Wollmilchsau" - überwiegend Service-Engineers, die vielfach im Ausland unterwegs sein müssten und für alle Tätigkeiten von der Montage bis zu Inbetriebnahme und Qualitätskontrolle und Überwachung alles können müssten.
Dr. Eberhard Trowe vom GIZ sprach darüber, dass die Leistungsfähigkeit Deutschlands im Ausland mit der starken dualen Berufsausbildung verbunden würde. Jetzt käme es darauf an, mit geeignetem Wissensmanagement, e-Learning und guter Software zur Kommunikation Mensch-Maschine, mehr Flexibilität in die Lehr- und Lernprozesse zu bekommen. MOOCs seien gute Beispiele für bedarfsgerechtes, modulares und besonders flexibles Lernen.
Der letzte Fachvortrag der Tagung beschäftigte sich mit dem Thema, der Datensicherheit.
Dr. Uwe Kaiser, Geschäftsführer der Dr. Kaiser Systemhaus GmbH, stellte computergestützte Messtechnik und Schutzsysteme für PCs vor, die u.a. im Bildungsbereich einsetzbar sind. Sein Resümee: "Absolute Sicherheit gibt es nicht - Datensicherung muss auch in der Industrie-4.0-Ära der Bedrohung entsprechen".
Die verschiedenen Perspektiven der Fachvorträge auf das Thema: Industrie 4.0 eröffneten schließlich vielfältige Diskussionen der Tagungsbesucher. Diese beschäftigten sich teils mit theoretischen, aber überwiegend mit sehr praktischen Fragestellungen, von künftigen Kernkompetenzen, z.B. für den Mechatroniker 4.0, bis hin zu konkreten betrieblichen Ausbildungsplänen und Vorschlägen für neue Berufsbilder mit zusätzlichen Qualifikationsmerkmalen wie den Operativen Instandhaltungselektroniker 4.0.
Prof. Hafer und Dr. Pfeiffer zogen am Ende ein zufriedenes Fazit für die Veranstaltung. Sie sahen sie als gelungenen Auftakt für eine Veranstaltungsreihe, die "alle zwei Jahre" denkbar sei. Die Themen aus den Diskussionen in der Workshop-Runde und in den Pausen könnten eine neue Veranstaltung sinnvoll füllen. Allein das Problem der geringen Eingangsvoraussetzungen der Azubis und künftig steigender Ausbildungsanforderungen bedürfe einer umfassenden Erörterung, denn es müsse schon jetzt zu Konsequenzen der theoretischen und praktischen Ausbildung führen. Beide sprachen sich für mehr Werbung für technische Berufe aus, denn entgegen der aktuell nicht sehr hohen Wertschätzung, seien sie anspruchsvoll und interessant. "Wer heute die CNC-Programmierung beherrscht, hat eine Zukunft". Das sollten alle Tagungsteilnehmer in die Schulen tragen. Neue CNC-Ausbildungsstandards müssten dringend ein Thema für die Akteure der Berufsbildung technischer Berufe sein.