"In Deutschland musst Du immer pünktlich sein. Für mich ist das okay."
Als Mohammed Khalleefah Mitte Februar seinen Ausbildungsvertrag nach noch nicht einmal fünf Monaten gekündigt hatte, war das ein enttäuschender Moment - vor allem für sein Unternehmen, in dem er gut aufgenommen worden und scheinbar auch angekommen war. Niemand in seinem Team hatte dort wirklich damit gerechnet. Als die Kündigung schließlich bei der bbw Akademie in Oranienburg und den dortigen Kollegen von AsA und KAUSA bekannt wurde, herrschte auch hier erst einmal Ratlosigkeit, denn den Ausbildungsabbruch hatte keiner kommen sehen. Schon seit Wochen war der junge Libyer mit einer Sportverletzung krankgeschrieben - so wusste erst einmal niemand, wie es ihm ging, was ihn dazu gebracht hatte und was nun sein Plan war.
Der attraktivste Ausbildungsplatz - ist für Flüchtlinge längst nicht immer attraktiv
Alper Milicic sitzt im Büro neben Katrin Bottler. Er gehört zur KAUSA Servicestelle Brandenburg und hat damals den ersten Kontakt zum Fußballverein FC 98 Hennigsdorf hergestellt, damit sie ihn gemeinsam dabei unterstützen können, eine Ausbildung zu beginnen. Er erinnert sich: "Mohammed war einer der ersten KAUSA-Teilnehmer, für den wir im Projekt ein attraktives Ausbildungsangebot finden konnten, das auch er wollte. Unsere Aufgabe ist, junge Migrantinnen und Migranten, vor allem Geflüchtete über mögliche Berufe und das Ausbildungssystem in Deutschland zu beraten und sie mit Firmen aus der Region zusammenzubringen, die passende Ausbildungsplätze anbieten. Uns hatte im Februar ein Potsdamer Handwerksbetrieb kontaktiert, der gern einen Geflüchteten ausbilden wollte und sogar in Potsdam eine Wohnung anbieten konnte. Leider hatte die Firma trotzdem Pech. Obwohl alles sehr optimistisch begonnen hatte, weil wir zwei interessierte Abiturienten fanden, die schon sehr gut Deutsch sprachen und sich genau den angebotenen technischen Beruf vorstellen konnten, platzten beide Vereinbarungen relativ kurz hintereinander wieder. Als später auch der dritte Versuch, einen jungen Azubi mit Fluchterfahrung über KAUSA zu gewinnen, unglücklich an der Distanz scheiterte, vertagten wir uns auf das Ausbildungsjahr 2019 ... So etwas passiert, dafür kann niemand etwas." Alle drei jungen Leute hätten zwar ein aufgeschlossenes, attraktives Unternehmen als Ausbildungsbetrieb bekommen, dafür aber die Familie oder ihre gerade frisch gefundene Community und Freunde in Oranienburg und Umgebung zurücklassen müssen. Und alle drei hätten für die Ausbildung umziehen müssen. Das 21-jährige Stürmertalent Mohammed Khalleefah hätte zusätzlich die Chance auf einen festen Platz in der ersten Männer-Mannschaft des FC 98 Hennigsdorf aufgeben müssen. Als jemand, der selbst Migrant ist, wusste KAUSA-Berater Milicic, dass das eine hohe Hürde sein würde, die er selbst vielleicht auch nicht übersprungen hätte.
Volltreffer - eine engagierte Ausbildungsfirma mit Verständnis für Fußballleidenschaft
Deshalb war er froh, dass seinem Ausbildungskandidaten nur kurze Zeit später über den ehemaligen Vereinspräsidenten des Fußball-Landesligisten FC 98 Hennigsdorf und gleichzeitig Geschäftsführer von BGT Gas- & Öltechnik GmbH, eine andere, perfekt passende Ausbildungsstelle - jetzt ganz in der Nähe - angeboten wurde. Zum Wunschberuf Elektriker und obendrein von einem engagierten Unternehmer mit gemeinsamer Fußballleidenschaft und viel Verständnis für einen pünktlichen Feierabend - zumindest an Trainingstagen. Das war so etwas wie ein Volltreffer.
Von vier Ausbildungsplätzen nur zwei vergeben und einer besetzt
Wolfgang Tschirswitz, der Geschäftsführer von BGT, hätte zum Start des Ausbildungsjahres 2018 eigentlich vier Azubis gebraucht, denn seine Firma hat Arbeit ohne Ende. Zwei neue Auszubildende hat er 2018 bekommen - beide Migranten und talentierte Spieler in "seinem" Verein. Seit der Kündigung seines Spielers aus der ersten Männer-Riege, hat er jetzt insgesamt nur noch zwei - und nur noch einen von den neuen - Azubis auf der Baustelle. Dabei hatte aus Sicht des Chefs alles gut angefangen. "Man merkte, dass ihm die Arbeit gefiel. Mohammed ist ein Praktiker, er lernte schnell. Er ist klug, sprachlich sehr gut, konnte sich vor allem schnell und gut mit den Kollegen auch fachlich verständigen. Ich als sein Vorgesetzter und das Team - wir waren sehr zufrieden mit seiner Arbeit. Zuletzt kamen aus der Berufsschule auch positive Rückmeldungen. Zum Beispiel, dass er fachlich immer besser mitkommt. Die Lehrer dort sagten: Mohammed schafft das." Eigentlich ist bis zum Schluss auch alles gut gelaufen. Nur in der ersten Baustellenwoche war es etwas kompliziert. Nichts Besonderes. Aber auf dem Bau müssen alle Kollegen pünktlich sein, sonst gibt es Probleme. "Deshalb haben wir auch schon bei der zweiten Verspätung auf allen Ebenen reagiert, weil wir uns alle kennen und gut vernetzt sind", erklärt Wolfgang Tschirswitz. "Frau Bottler, die ihn während der Ausbildung über AsA betreut hat, sein Fußballtrainer Oertwig und sein Begleiter Helmut Kostorz, jeder hat separat mit ihm darüber gesprochen. Das hat funktioniert. Wir hatten danach nie wieder Probleme." Mohammed Khalleefah erinnert sich: "Ich musste auch zuhause in Libyen, in der Grundschule und im Abi, pünktlich sein, sonst gab es Strafen. Dass das hier auch wichtig ist, habe ich schnell gelernt. Ich weiß: Hier in Deutschland musst du immer pünktlich sein. Für mich ist das okay."
Auch für Mohammed lief die Ausbildung gut - er hat gern gelernt
Bis Mitte Februar lief auf der Baustelle alles prima. Er schätzt seine Kollegen, die Arbeit hat ihm Spaß gemacht. 70-80 % von dem, was auf der Baustelle gesprochen wurde hat er gut verstanden. Es schien der richtige Beruf zu sein. Nachdem sein libysches Abitur in Deutschland nicht anerkannt wurde, war der direkte Weg zum Studium der Elektrotechnik versperrt. Dreieinhalb Jahre Ausbildung erschienen außerdem überschaubar und als eine gute Grundlage. Der Studienabschluss wäre auch danach möglich. Und über die Ausbildung könnte er schneller Geld verdienen. Lampen, Verteiler, Steckdosen einbauen und der Austausch im Team, das gefiel ihm. "Man muss überall hart arbeiten, wenn man was erreichen will", ist er überzeugt. Um in der Berufsschule besser mitzukommen, hat er deshalb zusätzlich den AsA-Förderunterricht in Physik und vor allem für Wirtschaft und Soziales genommen. "Recht ist besonders schwierig, wenn man alles zum ersten Mal hört", ergänzt der 21-jährige. Er musste anfangs, vieles lernen, ohne es wirklich schon zu verstehen. "Deshalb haben die zusätzlichen Stunden mit AsA gut geholfen. Davon habe ich auch den anderen im OSZ erzählt, die Probleme hatten", erzählt er.
Die Arbeitstage waren härter als erwartet - mit Training extrem anstrengend
Aber die Arbeits- und Schultage waren auf Dauer extrem anstrengend. Montag bis Freitag - morgens um 5 Uhr aufstehen. Um 6 Uhr zur Arbeit, das erste Stück S-Bahn fahren, dann ab Spandau weiter in der Fahrgemeinschaft mit den Kollegen, 6:45 Uhr auf der Baustelle in Berlin-Staaken, Arbeitsbeginn um Sieben, 16 Uhr Ende, dann zurück nach Hennigsdorf. Dreimal die Woche direkt danach zum Fußballtraining - Trainingsbeginn um 17 Uhr - wer zu spät kommt zahlt für die ersten 5 min - 5 Euro, jede weitere Minute 1 Euro obendrauf in die Mannschaftskasse. Um 21 Uhr kam er dann zurück nach Hause. Vor allem an Nicht-Trainingstagen und Arbeitstagen konnte nachmittags der Förderunterricht stattfinden (32 Stunden im Monat verteilt auf vier bis fünf Wochen - das bedeutet auch etwa zwei Tage die Woche je drei bis vier Stunden Weiterlernen) - zum Glück hatte sein Unternehmen ihn dafür während der Praxisphasen freigestellt. Samstags sind Spiele, oft auswärts - da reist die erste Männermannschaft seines Clubs FC98 Hennigsdorf quer durchs Land Brandenburg. Kein Wunder, dass Mohammed Khalleefah sich irgendwann gefragt hat, ob er dieses Pensum noch mehr als drei Jahre durchhalten kann und, ob er das wirklich will. Noch Anfang Februar fand er zwar, dass es immer noch besser ist, viel zu tun, als Langeweile zu haben, die er aus seinen ersten Monaten in seiner neuen Heimat kannte. Nun, mit der plötzlichen Fußballverletzung, in den heftig kalten letzten Januartagen 2019, hatte er schließlich die Zeit, nachzudenken - vor ihm die nächsten Wochen auf der Baustelle.
Als Profi Steckdosen einbauen oder Fußballspielen?
Jede Woche hat das BGT-Team gehofft, dass er wieder kommen kann, doch Mohammed hat sich anders entschieden. Zuerst hieß es, er hätte gern seinen Traum vom professionellen Fußball umgesetzt. Aber, Fußballprofi zu werden, ist in Deutschland ohne jahrelanges intensives Training mit 21 Jahren kaum möglich. "Darüber habe ich mit ihm gesprochen, als er mit Herrn Kostorz aus dem Fußballverein wieder zu uns gekommen ist", sagt AsA-Sozialpädagogin Kathrin Bottler. Sie hat mit ihm zusammen überlegt, welche Ausbildung jetzt für ihn eine sinnvollere Alternative sein könnte. Im Moment sieht es ganz nach "Sport- und Fitnesskaufmann" aus.