"Mit 15 Jahren Berufserfahrung und Abschluss bin ich doch nicht ungelernt ..."
Silvio Voigt ist wieder Zuhause. Als er damals seine Heimatstadt Cottbus verließ, war er jung, wollte die Welt sehen, arbeiten, Geld verdienen. Jetzt ist er für seine Familie zurückgekommen. Dass er dafür beruflich alle Pläne umwerfen musste, empfindet er bis heute als befremdlich. Jetzt wieder zwei Jahre zwischen Cottbus und Berlin zu pendeln war auch nicht abzusehen. Aber, wenn jemand zweimal so enttäuscht wird, dass er beim ersten Mal geht und beim zweiten Mal trotzdem bleibt, muss es wirklich wichtige Gründe dafür geben.
Regionalpresse und Messen werben um Rückkehrer*innen
Regionalpresse und Messen werben um Rückkehrer*innen
In der Lausitz, wo sie seit 2018 mit vier Landesprogrammen um die Rückkehrer werben, weil die Region zu veröden droht und es so viele freie Arbeitsplätze gibt, können sie bestimmt jemanden brauchen, der einen technischen Beruf hat, viel Erfahrung aus verschiedenen Jobs mitbringt, der Schichtarbeit kennt und viel Verantwortung getragen hat, dachte er. So kann man es schließlich auch in der Regionalpresse lesen. Sogar Messen werben um Rückkehrer*innen. "Ich bin natürlich auch über solche Messen gegangen. Und das fühlte sich richtig gut an. Da sind alle Unternehmen. Sie bieten auch viele interessante Stellen an. Aber, wenn du dann nachfragst oder Bewerbungen schreibst, merkst du, je weiter du weg bist von Berlin, werden die Löhne immer niedriger", sagt Silvio Voigt. "Und für Mindestlohn will ich mit 40 Jahren nicht mehr arbeiten. Das geht auch gar nicht mit Frau und Kind", ergänzt er.
Jahrelang verantwortlich für Teams, Termine und Tonnen von Material
Jahrelang verantwortlich für Teams, Termine und Tonnen von Material
Bis zum Jahr 2000 hat er bei der LAUBAG in Schwarze Pumpe Industriemechaniker gelernt. Damals wurden für Braunkohletagebau, Veredlung und Verstromung noch jedes Jahr 100 junge Leute ausgebildet - im letzten Jahrgang mit Übernahmegarantie. "Behalten haben sie am Ende trotzdem nur zwei von uns", sagt er. Also zog der junge Industriemechaniker nach dreieinhalb Jahren Ausbildung los, arbeitete jahrelang als Maschineneinrichter bei einem Automobilzulieferer in Bayern, kam dann wieder näher ran an die alte Heimat, arbeitete als Konstruktionsmechaniker mit CNC, schließlich als Projektleiter auf Baustellen in Berlin - verantwortlich für Teams, Termine, Tonnen von Material. "Das macht eine Zeit lang Spaß. Ich habe gut verdient. Es bringt aber auch viel Ärger, Stress, ständige Fahrerei am Wochenende und auf dem Bau sogar Zeiten der Arbeitslosigkeit. Irgendwann will man dann glauben, was man in der Heimatzeitung liest und von Kumpels hört. Also habe ich mich auf den Weg gemacht und Bewerbungen um einen der vielen freien Arbeitsplätze geschrieben. Bis es in einem Vorstellungsgespräch, als es um die Verdienstmöglichkeiten ging, mal 9,60 Euro pro Stunde hieß: Ohne Berufserfahrung als Industriemechaniker und mit Ausbildung vor mehr als 15 Jahren, das wäre ja praktisch wie ungelernt ... Das hat gereicht. Also habe ich entschieden, mein Leben grundsätzlich zu ändern, beruflich neu anzufangen und nochmal einen Beruf zu lernen. Wenn es denn so sein sollte, auch in einer komplett anderen Richtung", erklärt der junge Mann.
Mit guten Argumenten die Umschulung erkämpft
Mit guten Argumenten die Umschulung erkämpft
Den neuen Beruf hat er sich erkämpft. Mit einer Umschulung zum Verwaltungsfachangestellten. Er hat natürlich verstanden, dass die Agentur für Arbeit ihm bei 5 000 offenen Stellen Anfang 2018 in Cottbus und Umgebung, davon viele in technischen Berufen, nicht sofort eine Umschulung für 25 000 Euro finanzieren wollte. Aber schließlich haben seine Motivation und seine Argumente die Arbeitsberaterin überzeugt. Wahrscheinlich, weil er ihr völlig ruhig und ohne geringsten Zweifel erklärt hat, dass er jetzt mit 40 und als verantwortungsbewusster Vater sein Leben nochmal in die Hand nehmen muss. So wie nur Leute vom Bau jemandem erklären können, dass man schließlich erst die Wände mauern müsse, damit man ein Dach über dem Kopf haben kann. Und, dass er gern in Cottbus oder in der näheren Umgebung in einem Beruf arbeiten möchte, in dem jetzt schon sehr viele Verwaltungsfachleute fehlen ...
Wie in Berlin ist bereits seit Jahren auch in den brandenburgischen Wachstumskernen, in Cottbus und den umliegenden Kommunalverwaltungen sichtbar, dass eine wachsende Anzahl von Stellen nicht mehr besetzt werden kann, weil es viel zu wenig qualifizierte Bewerber*innen gibt. Dabei kann man den Ausschreibungen entnehmen, dass in den Verwaltungen nicht nur Menschen gebraucht werden, die etwas von Datenschutz, Archivierung, Staats- oder Haushaltsrecht verstehen, sondern auch welche, die zusätzlichen technischen Sachverstand mitbringen, so dass die Kombination von bisherigen Berufserfahrungen und modernem Verwaltungswissen in vielen Bereichen überaus sinnvoll erscheint. Also bekam er irgendwann im Frühjahr das Okay, sich ein Bildungsinstitut zu suchen, das Umschulungen für künftige Verwaltungsfachangestellte anbietet. Leider gab es in Cottbus keins.
Eine Umschulungsgruppe - vielfältig wie keine andere im bbw
Wie in Berlin ist bereits seit Jahren auch in den brandenburgischen Wachstumskernen, in Cottbus und den umliegenden Kommunalverwaltungen sichtbar, dass eine wachsende Anzahl von Stellen nicht mehr besetzt werden kann, weil es viel zu wenig qualifizierte Bewerber*innen gibt. Dabei kann man den Ausschreibungen entnehmen, dass in den Verwaltungen nicht nur Menschen gebraucht werden, die etwas von Datenschutz, Archivierung, Staats- oder Haushaltsrecht verstehen, sondern auch welche, die zusätzlichen technischen Sachverstand mitbringen, so dass die Kombination von bisherigen Berufserfahrungen und modernem Verwaltungswissen in vielen Bereichen überaus sinnvoll erscheint. Also bekam er irgendwann im Frühjahr das Okay, sich ein Bildungsinstitut zu suchen, das Umschulungen für künftige Verwaltungsfachangestellte anbietet. Leider gab es in Cottbus keins.
Eine Umschulungsgruppe - vielfältig wie keine andere im bbw
Seit Anfang September 2018 geht Silvio Voigt deshalb jeden Morgen um 6 Uhr aus dem Haus, damit er um acht rechtzeitig im Berliner Haus der Wirtschaft im Unterrichtsraum sitzen kann. Rund vier Stunden Fahrzeit zwischen Cottbus und Berlin nimmt er dafür täglich in Kauf. "Er hat von allen den weitesten Weg und ist einer, der immer pünktlich ist.", erzählt Martina Leonhardt, die Projektleiterin. Der Cottbuser besucht hier beim bbw e. V. die erste Umschulung in diesem Berufsbild - die außerdem so international zusammengesetzt ist, wie kaum eine andere Umschulungsgruppe es im bbw vorher war. Hier lernen Kasachen, Ukrainer, Polen, Bulgaren und Einheimische, Anfang 20-jährige BWL- und Jura-Studienabbrecher und gut 40-jährige, berufserfahrene Väter wie Silvio Voigt zusammen. "Das ist nochmal eine ganz neue Erfahrung. Wir sind eine Gruppe mit sehr interessanten Leuten und ich bin wahnsinnig froh, hier dabei zu sein", sagt er. Das Pendeln ist zum Glück endlich.Dass ab 2019 auch in Cottbus bei der bbw Akademie eine Umschulung zum Verwaltungsfachangestellten starten soll, ist für ihn keine Option. "Ich will kein halbes Jahr verlieren, außerdem bin ich in diesem Kurs sehr zufrieden, da kommt Wechseln nicht in Frage."
Offene Stellen, aber kaum Praktikumsplätze
Offene Stellen, aber kaum Praktikumsplätze
In 24 Monaten stehen die Prüfungen an, aber davon spricht jetzt noch niemand. Noch sind alle ganz am Anfang. Bis Februar gibt es vor allem erstmal viel Theorie zu behalten und parallel zu lernen, wie man sich richtig bewirbt. Dann beginnt schon das erste Praktikum. Anfang Januar weiß jeder in der Gruppe schon "wie man Super-Bewerbungen schreibt" und ist parallel zu Wirtschafts- und Sozialkunde auf der Suche nach einem Praktikumsplatz. Das ist, so kurz hinterm Lehrplananfang natürlich alles andere als einfach. Die meisten Umschülerinnen und Umschüler haben mehr als zehn Bewerbungen geschrieben, bevor sie, wie ihr Cottbuser Kommilitone, eine aussichtsreiche Stelle nach ihren Vorstellungen gefunden haben.
Lernen, wie Verwaltung funktioniert
Lernen, wie Verwaltung funktioniert
"Angesichts der schon bald 200.000 Vakanzen im öffentlichen Sektor in Berlin und Brandenburg wundert man sich, dass esdoch so schwer ist, einen Praktikumsplatz in einer der vielen Verwaltungen zu finden. Geklappt hat es letztlich mit dem Tipp eines Freundes. Nun freue ich mich und bin schon sehr gespannt auf das Landesamt für Soziales und Versorgung in meiner Stadt Cottbus." Bis dahin heißt es, lernen, wie eine Verwaltung funktioniert, wie sie effektiv und rechtssicher im Dienste ihrer Kunden arbeiten kann, aber das ist mit guten Dozenten ja durchaus spannend. Schade findet es Silvio Voigt dagegen, dass sich seine Gruppe gegen das Fach Wirtschaftsenglisch entschieden hat. Das hält er für wichtig und hätte es gern noch auf dem Unterrichtsplan.
"Vielleicht lernt er im Praktikum schon seinen künftigen Arbeitgeber kennen, so wie es bei Umschulungen oft geschieht. Aber auch wenn nicht - die Chancen für einen Berufseinstieg sind jetzt und in Zukunft in Berlin und Brandenburg hervorragend. Weil die Umschulung anspruchsvoll ist, gibt es natürlich bis die Prüfungen geschafft sind keine Garantien, aber wir bereiten unsere Teilnehmer*innen optimal darauf vor", sagt Projektleiterin Leonhardt.
"Vielleicht lernt er im Praktikum schon seinen künftigen Arbeitgeber kennen, so wie es bei Umschulungen oft geschieht. Aber auch wenn nicht - die Chancen für einen Berufseinstieg sind jetzt und in Zukunft in Berlin und Brandenburg hervorragend. Weil die Umschulung anspruchsvoll ist, gibt es natürlich bis die Prüfungen geschafft sind keine Garantien, aber wir bereiten unsere Teilnehmer*innen optimal darauf vor", sagt Projektleiterin Leonhardt.