"China war eine grandiose Erfahrung, die ich sofort wiederholen würde."
Aufgebrochen ist Bodo Teubert im Herbst 2013, nachdem zuvor eine Mail von einer Firma kam, die er an einem anderen Tag, unter anderen Umständen, einfach weggeklickt hätte. Ein internationales Projektmanagement-Unternehmen bot an, in China für einen Markteintritt alle Türen öffnen zu können. Diese Info traf später zusammen mit Herrn Wang in Bodo Teuberts Frankfurter Büro immerhin auf eine schon gedanklich bewegte Idee. Und so kam es zum Gespräch und das Projektmanagement-Unternehmen löste sein Versprechen ein. Im September flog Bodo Teubert mit seinem Berater Wang schon nach Zhiangjiagan. Dieser wurde seine rechte Hand und begleitete ihn durch die Gründung der bbw Vocational Education Suzhou Co. Ltd. (bbw VES). Mit der Idee, über das Modell Verbundausbildung vor allem für die deutschsprachigen Unternehmen, die damals in die Wirtschaftszentren des fernöstlichen Landes kamen, die Berufsausbildung zu organisieren, zog der einstige bbw Niederlassungsleiter aus dem beschaulichen ostbrandenburgischen Wachstumskern Frankfurt (Oder) in die damals 12- jetzt sogar 14-Mio.-Einwohner-Metropole Suzhou. Hier hatten er und Herr Wang das erste Mini-Büro der bbw VES, später eins in einem Hochhauskomplex angemietet, der auf den Ostbrandenburger wie zehnmal Main-City wirkte. Aus einem Büro wurde irgendwann eine halbe Etage und schließlich wurden von hier aus sechs weitere Niederlassungen in sechs anderen Städten eröffnet.
Aufwachen mit Schni-Schna-Schnappi auf Chinesisch und chinesischer Nationalhymne
Wurde er zuhause in Groß Lindow vom Vogelgezwitscher im Wald geweckt und konnte zumindest, wenn er wollte, mit dem Rad oder im Jogginganzug die Entfernung zum Arbeitsplatz - 17,5 km ins Haus der Wirtschaft Frankfurt (Oder) - zurücklegen, war das in der Mega-Metropole Suzhou undenkbar. Hier lief alles komplett anders als erwartet: Wenn vor der Kita - gegenüber von seinem Appartement - früh um sieben die Kinder auf dem Platz standen und die chinesische Version von Schni-Schna-Schnappi und gleich danach die Nationalhymne sangen, dann war es Zeit aufzustehen. Den Gedanken, hier die knapp fünf Kilometer mit dem Fahrrad ins Büro zu fahren, musste er verwerfen. Das wäre im dichten Straßenverkehr lebensverachtend gewesen, aber aus Sicht der Chinesen auch unangemessen für einen General Manager aus Deutschland. Auch die übervollen U-Bahnen waren nur selten eine Alternative - erst recht, wenn man wie Bodo Teubert deutlich größer ist als 1,90 Meter, alle anderen um zwei Köpfe überragt und die einzige Langnase weit und breit ist. Deshalb kam meist ein Fahrer. Er hatte immerhin die nötige Geduld, mit 20 km/h über die flächendeckend mit Geschwindigkeitsmessungen überwachte Stadtautobahn zu fahren und durchschaute zuverlässig Hinweisschilder und Verkehrsvorschriften. Die halbe Stunde früh im Auto eignete sich hervorragend, um noch mal Kräfte zu sammeln und Termine zu sortieren für die Herausforderungen des Tages.
China - ein Wagnis ohne gründliche Vorbereitung auf die fremde Kultur
Ohne die Sprache und Kultur zu verstehen, würde Bodo Teubert heute nicht mehr in ein Land wie China gehen. Allein, sich verständlich machen zu können, hat fast fünf Jahre gedauert. Auch dafür war es gut, einen chinesischen Begleiter zu haben. Von ihm hat er auch gelernt, bei jedem Treffen mit chinesischen Gesprächspartnern vorab "den Big Boss" ausfindig zu machen und unter keinen Umständen auf dem Weg zu seinem Handschlag einen anderen Menschen zu begrüßen. Wer das nicht weiß oder sich nicht an die Etikette hält, riskiert, dass das geplante Gespräch gar nicht erst stattfindet, weil der Ranghöchste das Terrain unter Umständen sofort wieder verlässt. Egal, ob es am ersten oder 100. Tag in China passiert. "Hier ist kulturelle Sensibilität sehr wichtig. Auch, wenn das am Anfang für uns Europäer etwas gewöhnungsbedürftig ist: Sich sehr genau danach zu richten, hat uns in China bei den staatlichen Institutionen überhaupt erst Gehör verschafft und war die Grundlage für die Zusammenarbeit. Ich habe mich, als ich dort war, sehr ausgiebig mit der chinesischen Kultur beschäftigt und für mich viele sehr wichtige und sympathische Seiten dieses Landes erschlossen, die für das Zusammenleben und -arbeiten mit den Menschen sehr positive Effekte hatten."
Wer die Parteiführung begeistert, kann Ideen umsetzen
"Mit der Unterstützung der Parteiführung in der Region war alles möglich. Ohne sie, wäre nichts aus unserer Idee geworden. Aber das weiß man erst, wenn man dort ist. In Deutschland gibt es diverse einschränkende Gesetze, in China kann man derzeit fast jede Geschäftsidee umsetzen. Man muss sie nur gut verkaufen können und die richtigen Funktionäre ansprechen. Wir haben damals zuerst die regionalen Führungen überzeugt. Dabei wurde viel gegessen und dann übers Geschäft geredet. So haben wir die chinesischen Entscheider davon überzeugt, vertrauenswürdig zu sein. Das war der erste Schritt. Aber wir brauchten auch Geld und praktische Unterstützung, um Werkstätten und Labore einzurichten, in denen wir ausbilden konnten. Das zu bekommen, war wesentlich schwieriger. Die Zusagen kamen zwar schnell, aber die Umsetzung war eine ganz andere Sache. So war es immer. Was die Kolleg*innen in Frankfurt (Oder) oft nicht verstanden haben, hat mir in China viele schlaflose Nächte gebracht, weil ich manchmal nicht wusste, wie ich die Technik oder unsere Ausbilder*innen und Dolmetscher*innen termingerecht bezahlen sollte. Dass wir es trotzdem immer wieder geschafft haben, hat wohl viel damit zu tun, dass es dort eine große Lernbereitschaft gibt und China sich tatsächlich öffnet, dass die Parteitagsbeschlüsse zur Reformierung des Berufsausbildungssystems ernst genommen werden und wir dort viele gute Partner gefunden haben", sagt Bodo Teubert.
Häufig Kooperationsanfragen, aber nicht überall optimale Bedingungen
Nach und nach wurden die duale Ausbildung und das bbw Verbundausbildungsmodell landesweit bekannt. Die Geschäftsführung der bbw VES wurde eingeladen, sie auf Kongressen vorzustellen, was großes Medieninteresse hervorrief. Vertreter des Bildungsministeriums und regionale Führungskräfte der Volkspartei besuchten regelmäßig die bbw VES-Standorte und die chinesischen Partnerberufsschulen, um sich über den Fortschritt der fachpraktischen Ausbildung zu informieren. So kamen einerseits immer mehr europäische Unternehmen auf die bbw VES zu, die händeringend Mitarbeiter*innen suchten, aus den staatlichen Berufsschulen aber nur chinesische Schülerinnen und Schüler bekommen konnten, die zwar gutes berufstheoretisches Wissen mitbrachten, aber an den Maschinen aus Europa und Amerika praktisch nicht arbeiten konnten, weil ihnen die Arbeit in gemischten Teams, die Funktionsweise der Maschinen und Anlagen, Arbeitsschutzbestimmungen und Qualitätsanforderungen fremd waren. Deshalb stieg die Anzahl der Kooperationsanfragen aus allen Gegenden des Landes - von europäischen Unternehmen, aber auch von chinesischen Berufsschulen. 2017 hatte die bbw VES sieben Standorte in sieben großen Städten bzw. Wirtschaftswachstumszonen, von denen sie dann drei im Jahr 2018 wieder geschlossen hat. Nicht nur, weil es schwierig war, geeignete Ausbilder zu finden und die eigene Ausbildung einige Zeit brauchte - die Gründe waren vor allem, dass sich herausgestellt hatte, dass Standortfaktoren nicht optimal waren bzw., dass die Einstellung der Berufsschulleitungen zur dualen Ausbildung mancherorts einfach nicht passte. Deshalb war 2018 die richtige Konsequenz, vor allem unsere Auftraggeber die europäischen Unternehmen im Blick zu behalten, die Ausbildungsqualität hoch zu halten und dafür mit der IHK Leipzig eine bis dahin einmalige Kooperation einzugehen.
Da hilft kein Jammern: Politik-Unterricht geht manchmal vor Fachpraxis
Trotz Kooperationsvereinbarungen mit Berufsschulen und Colleges, die oft für die praktischen Ausbildungsteile, die die bbw VES realisiert, große Werkstätten einge¬richtet haben, war es oft eine Herausforderung, die Ausbildungspläne auch wie geplant umzusetzen. "Wir haben erlebt, dass z. B. die 40 Stunden, die u. a. für die Einrichtung und Programmierung einer Maschine oder für die geplante Herstellung eines Werkstücks gemeinsam geplant waren, von einem auf den anderen Tag auf 32 gekürzt wurden, weil der chinesische Berufsschulleiter spontan entschieden hat, dass er acht Stunden für eine politische Schulung braucht. Oder, dass die regionale Parteiführung plötzlich freie Tage vergibt, weil sie meint, dass in den vergangenen Monaten im Distrikt gut gearbeitet wurde. Dann bleiben plötzlich alle Schüler*innen, aber auch Verwaltungsmitarbeiter*innen, die Projektabrechnungen zur Auszahlung von Geldern auf dem Tisch haben, einfach zuhause - ohne dass man das vorher erfährt. Damit muss man klarkommen. Wir hatten schon Ausbilder von einer großen deutschen Fluggesellschaft, die schreiend davongelaufen sind. In solchen Fällen hilft aber kein Jammern, da muss man erfinderisch sein - was nicht so einfach ist, wenn man nach IHK-Ausbildungsverordnung arbeiten möchte oder Projekte mit Zeitplan abschließen muss", beschreibt Bodo Teubert den Ausbildungsalltag innerhalb chinesischer staatlicher Berufsschulstrukturen.
Konflikte durch eifriges Loben und klare Wegbeschreibungen zu lösen, muss man auch erst lernen
"Unter solchen Bedingungen ist es wichtig zu lernen, wie man improvisieren kann. Jedenfalls hilft es nichts, auf Vereinbarungen zu pochen. Sie sind nach meiner Erfahrung nur Papier. Der Parteisekretär entscheidet. Was er sagt, das gilt. Wer das nicht akzeptieren kann, kann in China nichts erreichen. Daneben steht das Team an oberster Stelle. Das ist ein gutes Herangehen. Im Team mit chinesischen Kolleg*innen ist es sehr wichtig, niemals direkte Kritik zu üben, so wie wir Deutschen das gern tun. Dort muss man auch den größten Ärger erst einmal herunterschlucken und alle für ihre gute Arbeit loben. Wenn man möchte, dass sich Dinge ändern, wird vom Chef erwartet, dass er optimistische Ansagen macht, den Weg zum Ziel vorgibt und genau beschreibt, was erreicht werden soll und, was er möchte. Leider ist es kulturbedingt sehr schwer, Alternativen zu diskutieren, z. B. wenn man sich selbst nicht sicher ist. Das ist schade", ergänzt er. "Ich kann mich noch gut erinnern, wie unsere bbw Geschäftsführung eines Tages aus Berlin gekommen war, um einen Standortvertrag mit dem Management der Wirtschaftszone Dongguan zu unterzeichnen und Dr. Forner noch in der Nacht zuvor Sätze umgestellt, Ergänzungen und Streichungen vorgenommen hat, um ihn nach unserer Lesart wasserdicht zu machen. Er hat dann sehr ungläubig aufgenommen, dass das verschenkte Zeit ist, weil sich niemand außer uns wirklich mit dem Geschriebenen auseinandersetzen oder gar Details und Alternativen diskutieren würde. Und so war es. Der Vertrag wurde nach üblicher Zeremonie unterzeichnet. Niemand sprach je wieder darüber. Wir begannen mit der Arbeit."
Bevor es von staatlichen Institutionen Geld gibt - zum Rapport
Die Zusammenarbeit mit den Unternehmen konnte an mehreren Standorten kontinuierlich ausgebaut werden. Sie brauchen vor allem Zerspanungsmechaniker*innen, Mechatroniker*innen und Werkzeugtechniker*innen. Deshalb sind das auch die Berufe, in denen die bbw VES die IHK-geprüfte Ausbildung zuerst umsetzt. Im September 2018 konnten z. B. in Taizhou drei Klassen mit jeweils 36 Schülerinnen und Schülern ihre Ausbildung in diesen Berufen beginnen. Die meisten werden in europäischen Unternehmen unterkommen. Hier werden auch Ausbilder*innen ausgebildet und Seminare für Mitarbeiter*innen von Unternehmen zum Thema "duale Ausbildung" angeboten. Das sichert an den noch bestehenden bbw VES-Standorten in Suzhou, Taizhou, Kaifeng und Dongguan am Monatsende die Einnahmen u. a. für Mieten und Gehälter. In Dongguan gibt es aktuell fünf Unternehmen, mit denen wir erfolgreich die Verbundausbildung realisieren. In Suzhou haben wir pro Jahr rund 80 Absolventinnen und Absolventen. Von denen haben wir 2018 wieder etwa 60 bedarfsgerecht ausgebildete Fachkräfte an unsere Unternehmenspartner übergeben. Hier möchte das Management der Suzhou New Distrikt-Industriegebietsverwaltung allerdings, dass wir mehr als die 20 übrigen für den Bedarf in den chinesischen Betrieben ausbilden sollen. Das ist vor Ort eine schwierige Situation, die diplomatisch gelöst werden muss. Denn der für uns künftig beste Weg ist die Verbundausbildung für Unternehmen, die uns direkt bezahlen. Wir bilden zwar auch gern für chinesische Unternehmen aus, aber die Bezahlung über staatliche Stellen stellt uns vor hohe Hürden. "Es ist nicht leicht, von staatlichen Institutionen in unserem Sinne rechtzeitig für seine Leistungen bezahlt zu werden", sagt Bodo Teubert, deshalb muss immer ganz genau überlegt werden, ob ein staatliches Ausbildungsprojekt attraktiv genug ist und wer dahinter steht. Vor Projektabschluss sieht das Protokoll hier nämlich häufig Rapports vor. Das heißt, es kommen Delegationen der finanzierenden Behörden in die Berufsschule, schauen sich alles an, führen Gespräche. Dabei ist es nicht üblich, dass die Prüfer ihre Eindrücke schildern oder die Ergebnisse mitteilen. Weder die guten noch die eventuell verbesserungswürdigen. Nachfragen ist meist zwecklos. "Erst, wenn dann irgendwann das Geld kommt, weißt du, dass alles in Ordnung war", beschreibt Bodo Teubert seine Erfahrungen.
Übergabe der Geschäfte und zurück nach Frankfurt (Oder)
Im September 2018 sind alle Geschäfte an den Nachfolger übergeben worden. Der Zu-der-Zeit-noch-General-Manager Teubert hat den Staffelstab an Hendrik Krell, seinem einstigen Ausbilder aus Frankfurt (Oder) und späteren Niederlassungsleiter am Standort Suzhou mit gutem Gefühl weitergereicht. Er weiß, dass das eine richtige Entscheidung ist. Für Bodo Teubert steht fest: "Unterm Strich war China eine grandiose Erfahrung, die ich sofort wiederholen würde. Es war eine sehr erfolgreiche Zeit, in der ich viel über die Kultur und die Menschen gelernt habe. Ich freue mich, dass ich die Gelegenheit hatte, dort mit einer Handvoll Kollegen ein Unternehmen aufzubauen, das gutes Entwicklungspotenzial hat. Vielleicht kann ich nun hier mein Wissen in Seminaren an Mitarbeiter*innen von Unternehmen weitergeben, die in China erfolgreich arbeiten wollen, denn ich weiß, wie man in diesem Land vorgehen muss, um seine Ziele zu erreichen und Konflikte zu lösen. Jetzt freue ich mich auf meine Familie, mein Zuhause in der Einsamkeit Ostbrandenburgs, direkt am Wald."